IBIS e.V. unterstรผtzt den Aufruf des Bรผndnisses Ezidischer Vereine fรผr den Abschiebestopp. In der Stellungnahme des Bรผndnisses wird die Abschiebung von Ezid_innen in den Irak verurteilt. Sie weist auf die zahlreichen Grรผnde, die gegen eine Abschiebung sprechen, hin und fรผhrt Alternativen fรผr eine Abschiebung auf. Wir verรถffentlichen die Pressemitteilung im Folgenden in Teilen:
Seit einigen Wochen werden Ezidinnen und Eziden, die bislang im Besitz einer Duldung waren, systematisch in den Irak abgeschoben. Seit einer Entscheidung des OVG Lรผneburg vom 30.07.2019 (Az.: 9 LB 133/19) erhalten Ezidinnen und Eziden aus dem Bezirk Shingal (Sindschar) im Nordirak, von wenigen Ausnahmefรคllen abgesehen, kaum einen asylrechtlichen Schutzstatus. Nach unseren Erkenntnissen sind etwa 20.000 Personen hiervon betroffen. Es handelt sich um Menschen, die wegen des seit August 2014 an ihnen verรผbten Genozids geflohen sind und in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Ihnen droht im Falle einer Rรผckfรผhrung in den Nordirak eine hohe Verfolgungsgefahr aus einem einzigen Grund, weil sie Eziden sind.
Anders als in dem o. g. OVG-Urteil behauptet und aktuell vom Auswรคrtigen Amt verlautbart, ist eine sichere Rรผckkehr fรผr Ezidinnen und Eziden in den Irak derzeit unmรถglich. Die Region Shingal ist immer wieder Ziel von Luftangriffen der tรผrkischen Luftwaffe. Der Iran sowie verschiedene Milizen versuchen ebenso die Oberhand รผber die geostrategisch wichtige Region zu gewinnen, wie die kurdische Regionalregierung im Norden des Landes und die Zentralregierung in Bagdad. Die Zivilbevรถlkerung gerรคt zwischen die
Fronten. Eine Rรผckkehr setzt die Ezidinnen und Eziden aus sicherheitspolitischen und infrastrukturellen Gegebenheiten einem hohen Verfolgungsrisiko aus. รhnlich bedrohlich ist die Situation fรผr sie in der
Region Sheikhan (Scheichan). Das ist der Grund, weswegen hunderttausende Ezidinnen und Eziden in den maroden Flรผchtlingslagern im Nordirak ausharren. Der militรคrisch bereits als geschlagen geglaubte Islamische Staat (IS) verรผbt nach wie vor Terrorattacken im Norden und Sรผden des Iraks, aber auch in Syrien.
Uns liegen รผbereinstimmende Berichte รผber gezielte Tรถtungen von Ezidinnen und Eziden im Nordirak durch extremistische Islamisten vor. Allein die Perspektive, in diese unsichere Herkunftsregion zurรผckgefรผhrt zu werden, erhรถht die Gefahr von sogenannten Flashbacks bei den traumatisierten Genozidopfern und erhรถht die Gefahr von Suiziden. Im Zentralirak haben die Mittรคter des IS kaum Bestrafung zu befรผrchten. Die ehemaligen Nachbarn der Ezidinnen und Eziden, frรผher hรคufig Mittรคter, leben weiterhin unbehelligt neben den wenigen Rรผckkehrern und bedrohen sie. Ernsthaften Schutz bietet die Zentralregierung nicht. Sie unterstรผtzt sogar die Ansiedlung arabischer Stรคmme. (…)
Die Rรผckfรผhrung dieser betroffenen Personengruppe ist auch integrationspolitisch verfehlt. Betroffen sind vor allem berufstรคtige junge Mรคnner oder Schulgรคnger sowie Senioren, deren gesamte Familie entweder verstorben ist oder einen Aufenthalt in Deutschland genieรt. Die bisherigen beachtlichen Integrationserfolge, insbesondere bei den jungen Ezidinnen und Eziden, werden dadurch schlagartig zunichte gemacht. Das jetzige Vorgehen der Auslรคnderbehรถrden lรคuft auch der gesetzgeberischen Entwicklung im Asylrecht zuwider, weil integrationswillige Personen zuerst รผber das Chancenaufenthaltsrecht die Mรถglichkeit eines Aufenthaltstitels nach ยง104c AufenthG und spรคter durch weitere Schritte eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive erhalten sollen. Gerade die seit Jahren geduldeten
Ezidinnen und Eziden zeigen Erfolge bei der wirtschaftlichen und sozialen Integration.
Die Abschiebung von integrierten Ezidinnen und Eziden entspricht schlieรlich auch nicht der fraktionsรผbergreifenden Anerkennung des Genozids an den Ezidinnen und Eziden durch den Deutschen Bundestag im Januar dieses Jahres. Die Bundesauรenministerin Annalena Baerbock unterstrich dabei, die
Anerkennung des Vรถlkermordes sei nicht nur eine parlamentarische. Der Beschluss stehe stellvertretend fรผr das ganze Land. Deutschland als Gesellschaft erkenne den Genozid an.
Gerade vor diesem Hintergrund erwartet die ezidische Gemeinschaft, dass Deutschland sich schรผtzend vor die Genozidopfer stellt und sie nicht in eine unsichere und gefahrbringende Zukunft abschiebt. Eine Verantwortung trรคgt Deutschland auch als Vertragsstaat der UN-Genozidkonvention. Trotz der internationalen (Wirtschafts-)Hilfen, die insbesondere auch von der Bundesrepublik Deutschland gewรคhrt wurden, hat der irakische Staat die Situation der Ezidinnen und Eziden weder politisch noch sozioรถkonomisch richtungsweisend verbessert. Deswegen ist eine dauerhafte Rรผckkehr in die
Dรถrfer in Shingal ausgeschlossen. Die ezidische Gemeinschaft ist seit den Gastarbeiter-Anwerbeabkommen und damit seit vielen Jahrzehnten Teil der deutschen Gesellschaft. Wir verstehen daher das Bemรผhen der
Bundesregierung um eine effektivere und schnellere Abschiebung von Menschen ohne Bleiberecht. Ohne Differenzierung kann und sollte das aber nicht vonstattengehen. Eine systematische Abschiebung von bereits integrierten Menschen, denen noch dazu Gefahr fรผr Leib und Leben im Falle einer Rรผckfรผhrung droht, kann nicht im Sinne unserer Gesellschaft sein und entspricht auch nicht unserer besonderen Verantwortung, Vรถlkermorden und deren Folgen wirksam zu begegnen.