Drastische Kürzungen drohen – Entwurf des Bundeshaushalts für 2024 sieht massive Einschnitte bei der Versorgung von Geflüchteten vor

Die Bundesregierung hat am 05. Juli 2023 beschlossen, die Fördermittel für verschiedene Bundesprogramme der Beratung und psychosozialen Versorgung von Geflüchteten im Haushaltsjahr 2024 massiv zu kürzen. Fachkräfte und -verbände warnen vor gravierenden Folgen für die Betroffenen und sehen einen ungebrochen hohen Bedarf an Unterstützung für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Betroffen sind die Förderung für Psychosoziale Zentren, die “Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer”, die bundesweite behördenunabhängige “Asylverfahrensberatung” sowie das Programm „respekt*land – Antidiskriminierungsberatung für ganz Deutschland“.

Fachverbände schlagen Alarm – „Sozialer Kahlschlag” für Unterstützungsangebote

Der Paritätische Gesamtverband bezeichnet die geplanten Kürzungen als „sozialen Kahlschlag“ und warnt vor einer nachhaltigen Zerstörung der sozialen Infrastruktur in Deutschland, da Fachkräfte entlassen werden und einige vorhandene Angebote eingestampft werden müssten. Was dies für die Teilhabe von geflüchteten und zugewanderten Menschen in Zeiten schwerer Menschenrechtskrisen und starker
Fluchtbewegungen bedeuten würde, bereitet den Verbänden und lokalen Organisationen große Sorgen. Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sehen „die Versorgung und Teilhabe von geflüchteten sowie anderen zugewanderten Menschen massiv gestört“. IBIS e.V. sieht die Versorgung geflüchteter und schutzsuchender Menschen in Stadt und Region Oldenburg akut in Gefahr.

In verschiedenen öffentlichen Aufrufen appellieren Fachkräfte und -verbände an die Politik, sich gegen die drohenden Kürzungen einzusetzen – denn noch ist nicht alles entschieden. Der Bundeshaushalt für 2024 wird noch von Bundestag und Bundesrat beraten und voraussichtlich erst im Dezember dieses Jahres final beschlossen. Bis dahin können noch Änderungen vorgenommen werden.

Kürzungen im psychosozialen Bereich treffen Kinder und Familien schwer

Durch das „Bundesprogramm für die Beratung und Betreuung ausländischer Flüchtlinge“ werden zurzeit Psychosoziale Zentren für Geflüchtete und Überlebende von Folter, Krieg und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen in ganz Deutschland finanziert. Hier sollen die Mittel von 17 Mio. Euro auf 7 Mio. Euro gekürzt werden – also um fast 60%. Darin besteht eine große Gefahr für die Gesundheit geflüchteter Menschen. Wenn Traumata unbehandelt bleiben, so erklärt Psychologin Lena Uman vom Psychosozialen Zentrum von IBIS e.V. in Oldenburg, können sich Folgestörungen chronifizieren. Dauerhafte Beeinträchtigungen sind die Folge. Ihr Kollege Baran Candan ergänzt: „Wenn traumatisierten Menschen der Zugang zu Unterstützungsstrukturen wie Psychosozialen Zentren genommen wird, kann dies ihr bereits vorhandenes oder vergangenes Trauma reaktivieren“.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) schlägt ebenfalls Alarm: „Die skandalöse Unterversorgung und der nun drohende Abbruch zahlreicher Therapien sind verheerend.“ Dass hiervon besonders Kinder und ihre Familien betroffen seien, erklärt die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.). Dabei sollen gerade diese und andere vulnerablen Gruppen nach europäischem Recht besonders geschützt werden. Leerstellen in der psychosozialen Versorgung beeinträchtigen letztendlich nicht nur die direkt Betroffenen, sondern bedeuten auch verpasste Chancen für die Gesellschaft – dies beschreibt Psychologin Susanne Hirschmann von IBIS e.V. Sie erlebt täglich in ihrer Arbeit, dass junge Geflüchtete hohe Motivation und große Potenziale mitbringen, um beruflich in Branchen einzusteigen, in denen Fachkräfte händeringend gesucht werden. Doch unbearbeitete Traumata bremsen aus. Psychosoziale Unterstützung sieht sie als elementar, um junge Menschen auf ihrem Weg in den Berufseinstieg zu begleiten und ihnen Perspektiven zu eröffnen.

Kürzungspläne treffen auf Zeitpunkt von hohem Bedarf

Zudem drohen massive Einsparungen in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE). Vorgesehen sind Kürzungen von 81,5 Mio. Euro auf 57,5 Mio. Euro – also um fast 30 %. Werden diese durchgesetzt, würden die Beratungskapazitäten stark sinken.

Die Kürzungspläne treffen auf einen Zeitpunkt, an dem sich die Zahl der Geflüchteten in Deutschland auf einem Höhepunkt seit 2015 befindet – nicht zuletzt wegen der hohen Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine im Zuge des russischen Angriffskrieges. Dass in dieser Situation Unterstützungsangebote stark eingeschränkt werden sollen, anstatt sie weiter auszubauen, stößt auf großes Unverständnis: Zahlreiche Hilfsorganisationen reagieren mit Unverständnis auf die Pläne der Bundesregierung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) spricht von einem Paradox. Für das MBE-Programm wurden im Jahr 2022 und 2023 gerade noch zusätzliche Mittel bereitgestellt – diese sollen nun zurückgenommen und noch weiter gekürzt werden.

Fehlende Aufstockung kommt faktischer Kürzung gleich

Ein drittes von den Kürzungsplänen betroffenes Bundesprogramm ist die bundesweite behördenunabhängige Asylverfahrensberatung. Diese klärt asylsuchende Menschen über ihre Rechte im Asylverfahren auf und gibt Orientierung in dem komplexen und schwer zu überblickenden Prozess. Die im Koalitionsvertrag zugesagte und erst Mitte 2023 begonnene Etablierung einer flächendeckenden Asylverfahrensberatung sowie einer Rechtsberatung für queere und weitere vulnerable Schutzsuchende sieht sich nun ebenfalls mit überraschenden Einsparungsplänen konfrontiert. Träger der
bundesfinanzierten Asylverfahrensberatung sind im Vertrauen auf den durch die Regierung angekündigten stufenweisen Aufbau der Fördermittel auf insgesamt 80 Mio. Euro (in 4 Jahren – d.h. um 20 Mio. € jährlich) in Eigenleistung teils hohe finanzielle Risiken eingegangen. Die hier erzielten Fortschritte drohen nun wieder zunichte gemacht zu werden, da die Beibehaltung der Höhe der Fördermittel aus 2023 in 2024 einer
faktischen Kürzung um 50 % gleichkommt (20 Mio. statt 40 Mio. €). Dies lässt Trägerorganisationen mit der Herausforderung zurück, ihre Asylverfahrensberatung anderweitig zurückzuschrauben oder gar ganz einzustellen.

Nicht zuletzt drohen faktische Kürzungen der Fördermittel im Programm „respekt*land -Antidiskriminierungsberatung für ganz Deutschland“. Von Diskriminierung betroffene Menschen sollen durch das Programm eine Anlaufstelle finden – eine Problematik, die auch für viele Geflüchtete sehr relevant ist. Auch hier wurde für das Haushaltsjahr 2024 eine Mittelaufstockung gegenüber 2023 in Aussicht gestellt. Träger des Angebots planten daraufhin einen dynamischen Ausbau der Strukturen. Da die Fördersumme nun aber nach Plänen der Bundesregierung doch nicht erhöht werden soll, würde der Ausbau gestoppt werden. Faktisch stände den Trägern sogar weniger Geld zur Verfügung, da die Förderperiode in 2023 nur maximal 9 Monate beträgt, sich dieselben Mittel in 2024 aber auf das ganze Jahr beziehen würden. Dadurch wäre eine Kontinuität der in 2023 eingerichteten Stellen nicht möglich. Dies würde mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und einer Einschränkung des Angebots der Antidiskriminierungsberatung einhergehen. Dabei ist das erklärte Ziel des „respektland”-Programms, die Antidiskriminierungsberatung
noch niedrigschwelliger zu gestalten und auch Menschen in ländlichen Gebieten zu erreichen. Eine faktische Kürzung der Förderung verunmöglicht, die ursprünglichen Ziele für 2024 zu erreichen.

Rückfragen gerne an info@ibis-ev.de oder telefonisch unter 0441 920582 10.
Ansprechpersonen: Hendrik Lammers/Peter Kramer

Anbei finden Sie die Quellen der oben zitierten Aussagen der BAfF, des
Paritätischen Wohlfahrtsverbands und der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege:

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