Jubiläum der Antidiskriminierungsstelle – Ein Gespräch mit Constanze Schnepf, Leitung der Beratungsstelle

Seit zwanzig Jahren bietet die Antidiskriminierungsstelle Oldenburg Menschen Unterstützung, die von Ungleichbehandlung betroffen sind. Ihre Leitung, Constanze Schnepf, hat die Stelle von Beginn an aufgebaut und geprägt. Im Gespräch blickt sie zurück auf die Anfänge, gesellschaftliche Entwicklungen, prägende Fälle – und darauf, was es bedeutet, diese Arbeit über zwei Jahrzehnte hinweg trotz politischer und finanzieller Unsicherheiten fortzuführen.

Die Antidiskriminierungsstelle Oldenburg bei IBIS e.V. gibt es seit 2005. Du warst aber schon vorher im Verein tätig. Wie war dein Weg, bis die ADS schließlich aufgebaut wurde?

Schon während meines Studiums habe ich mich intensiv mit Diskriminierung beschäftigt. Meine Diplomarbeit schrieb ich über Frauen mit Behinderung – mit besonderem Blick auf Pflegeabhängigkeit, rechtliche Rahmenbedingungen und strukturelle Benachteiligungen. Ich wollte verstehen, ob und wie Frauen in Pflegesituationen spezifisch diskriminiert werden.

In Bochum hatte ich eine Professorin, die mich stark geprägt hat: Theresia Degener, Juristin und selbst behindert. Sie lehrte im Bereich Heilpädagogik. Obwohl ich Sozialarbeit studierte, habe ich viele ihrer Veranstaltungen besucht. Ihre Sicht auf Behinderung hat mich sehr geprägt: nicht defizitorientiert, sondern ressourcenorientiert. Die Frage lautete immer: Wo liegen meine Stärken, und wie lässt sich das Antidiskriminierungsrecht für Menschen mit Behinderung konsequent durchsetzen und weiterentwickeln? Dieser Ansatz – weg vom defizitorientierten Blick, hin zu Empowerment und Rechten – hat mich nachhaltig beeinflusst.

An der Universität war ich außerdem Teil einer Arbeitsgruppe, die sich mit Übungen für Antirassismustrainings und anderen gruppenpädagogischen Prozessen beschäftigte. Diese Arbeit hat meinen Blick auf Diskriminierung und Empowerment zusätzlich geschärft.

Zu IBIS e.V. kam ich für mein Anerkennungsjahr. Dort habe ich die staatliche Anerkennung gemacht und Einblicke in viele Projekte bekommen.

Wie entstand die Idee zur Antidiskriminierungsstelle – und wie sah der Aufbau konkret aus?

2004 fragte mich Uwe Erbel, der Geschäftsführer von IBIS, ob ich mir vorstellen könne, eine Antidiskriminierungsberatung aufzubauen. Hintergrund war ein multilaterales EU-Projekt, das Standards für Antidiskriminierungsberatung entwickelte. IBIS wollte diese Arbeit weiterführen. Vergleichbare Stellen gab es damals bereits in Hannover, Berlin und mehreren Städten in NRW.

Ich habe mich eingearbeitet, viel gelesen und ein Praktikum bei ARIC in Duisburg gemacht, einer etablierten Antidiskriminierungsstelle.

Parallel traf ich mich mit unterschiedlichen Akteur_innen aus Oldenburg – zum Beispiel der Gleichstellungsstelle, dem Behindertenbeauftragten, dem damaligen Integrationsbeauftragten und „Na und“ e.V., also Einrichtungen, die mit besonders diskriminierungsgefährdeten Gruppen arbeiten. Dadurch entstand ein gemeinsamer Blick auf das Thema. Dieses Gefühl, etwas aufzubauen, war sehr motivierend und inspirierend.

Wir hatten auch einen Arbeitskreis mit verschiedenen Institutionen, der allerdings erst einige Zeit nach der Eröffnung der Stelle gegründet wurde. Er ist später eingeschlafen. Rückblickend hätten wir ihn verstetigen sollen – das würde ich heute anders machen.

Wann begann die Beratung?

Im Februar 2005 wurde die Antidiskriminierungsstelle eröffnet. Anfangs meldeten sich nur wenige Menschen – ganz anders als heute.

In Beratungsgesprächen begegnen mir viele Emotionen. Trauer oder Wut brauchen Raum. Ich nehme wahr, dass sich der Umgang mit Gefühlen verändert hat: Heute melden sich Menschen häufiger aus einer Haltung der Wut oder Entschlossenheit heraus. Diese Energie nutzen sie, um sich gegen Diskriminierung zu wehren. Vor 20 Jahren wurden solche Gefühle eher versteckt oder als „unangemessen“ empfunden.

Die ADS arbeitet mit Beratungsstandards. Wie haben sich diese entwickelt?

Die heutigen Standards stammen vom Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd). Davor hatten wir eigene Grundsätze – etwa, dass der Beratungsauftrag immer bei den Ratsuchenden liegt und dass wir parteilich an ihrer Seite stehen. Parteilichkeit ist ein zentrales Prinzip der Antidiskriminierungsberatung.

Du hast den Antidiskriminierungsverband Deutschland erwähnt. Wie kam es zu seiner Gründung?

Es gab schon länger verschiedene Stellen, die Antidiskriminierungsarbeit machten. 2006 gründeten wir gemeinsam mit anderen Antidiskriminierungsberatungsstellen bundesweit den advd, weil es ein starkes Bedürfnis gab, sich zu vernetzen und gemeinsam politisch wirksamer zu werden – für die Arbeit selbst und für die Betroffenen.

Damals gab es wenig Bewusstsein für Diskriminierung. Betroffene galten schnell als „empfindlich“, strukturelle Zusammenhänge wurden kaum gesehen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz existierte noch nicht. Arbeitgeberverbände und Vermieter_innen stellten sich gegen Gesetzesinitiativen. Und die sogenannte Kirchenklausel – die es Kirchen erlaubt, Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit nicht einzustellen – existiert leider bis heute.

Heute ist Diskriminierung – zumindest öffentlich – deutlich riskanter für das eigene Image.

Welche Fälle der letzten 20 Jahre sind dir besonders im Gedächtnis geblieben? Und wie haben gesellschaftliche Entwicklungen deine Arbeit beeinflusst?

Im Gedächtnis bleiben vor allem die extremen Fälle: Menschen, die nach einem Outing von Mordversuchen berichten, oder Kinder, die von Rassismus oder anderen Diskriminierungen betroffen sind. Solche Situationen hinterlassen Spuren.

Gesellschaftlich prägend war die Einführung der Ehe für alle. Und 2015 das Klima des Helfens – das einerseits beeindruckend war, andererseits hoch emotional. Viele bezogen sich auf das Paradigma von Nächstenliebe; mir wäre der Bezug auf die Menschenrechte lieber gewesen. Gerade weil sich die Stimmung nach einiger Zeit deutlich verändert hat und bei nicht wenigen Menschen in Ablehnung und Rassismus umgeschlagen ist. Als die emotionale Welle abebbte, blieb ein Vakuum, in dem rechte Gruppen erstarkten. Dinge, die zuvor gesellschaftlicher Konsens waren, wurden plötzlich infrage gestellt.

Wenn du heute zurückblickst: Was löst die geleistete Arbeit in dir aus?

Ich sehe positiv, dass die Sensibilität für Diskriminierung gewachsen ist, dass es mehr Beratungsstellen gibt und dass Menschen ihre Rechte einfordern.

Politisch erleben wir gerade, dass Errungenschaften infrage gestellt werden. Das Erstarken rechtsextremer Kräfte hat einen Paradigmenwechsel ausgelöst. Gleichzeitig müssen wir Ratsuchenden vermitteln, dass wir stark sind – während wir selbst die gesellschaftliche Verschiebung spüren.

Trotzdem bin ich stolz darauf, dass IBIS e.V. die Antidiskriminierungsberatung so lange getragen hat. Die finanzielle Lage war oft prekär. Bis 2010 gab es immer wieder Phasen ohne Finanzierung, und auch heute ist die Situation unsicher. IBIS hat das aus Überzeugung mitgetragen. Darauf bin ich persönlich stolz.

Ich hoffe sehr, dass wir eine Lösung für eine Finanzierung der Beratung in der Stadt Oldenburg finden und dass unser Team in den Landkreisen Friesland und Oldenburg weiter beraten kann – gerade jetzt, wo der Bedarf steigt.

Möchtest du noch etwas ergänzen?

Verbundenheit ist kein Gefühl, sondern eine Haltung. Wir können Diskriminierung nicht wegreden, aber wir können ihr gemeinsam etwas entgegensetzen. Auch wenn die Zeiten herausfordernd sind. Menschen, die sich gegen Diskriminierung wehren, verändern etwas. Das sehe ich jeden Tag und das treibt mich an, auch wenn es keine einfache Arbeit ist!


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