Bundeshaushalt 2025: Teilhabe und demokratisches Gemeinwesen stärken – Einsparungen stoppen!

16.09.2024 | Pressemitteilung

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Die Bundesregierung hat am 17. Juli 2024 den Bundeshaushaltsplan für 2025 beschlossen. Dieser sieht drastische Einsparungen bei den Ausgaben im Bereich Flucht, Migration und Integration in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro vor. Fachverbände warnen vor gravierenden Folgen für die Betroffenen und sehen einen ungebrochen hohen Bedarf an Unterstützung für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten. Die Oldenburger Menschenrechtsorganisation IBIS e.V. sieht die Versorgung geflüchteter und schutzsuchender Menschen in Stadt und Region Oldenburg akut in Gefahr.

Verschiedene Bundesprogramme zur Unterstützung von geflüchteten und anders zugewanderten Menschen sind von den geplanten Einsparungen betroffen. Dies stößt auf Widerstand: Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) warnt vor den Auswirkungen. Auch aus der Politik werden Gegenstimmen laut.

Dr. Andreas Philippi, Niedersachsens Integrationsminister und Vorsitzender der 20. Integrationsministerkonferenz, zeigte sich nach dem Beschluss des Haushaltsplanentwurfs im Juli 2024 irritiert und appellierte mit klaren Worten an die Verantwortung der Bundesregierung: „Die geplanten Kürzungen sind definitiv das falsche Signal“, so Philippi. „Es ist schon ein Widerspruch, einerseits für die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften zu werben, andererseits mit Sparmaßnahmen bei den Integrationskursen die Einbindung in den Arbeitsmarkt zu erschweren.“

Er fordert den Bund auf, nötige Kursangebote und die Finanzierung der Migrationsberatung für 2025 sicherzustellen und verweist auf den wachsenden Bedarf an flächendeckenden und qualitativen Angeboten – sowie darauf, dass die Träger der Angebote Planungssicherheit benötigen.

Massive Einsparungen in mehreren Bundesförderprogrammen im Jahr 2025 – auch Oldenburger Beratungsstrukturen sind unmittelbar bedroht

Die Förderprogramme, für die Einsparungen geplant sind, sind in unterschiedlichem Maße betroffen. Die Auswirkungen der Sparpläne wären auch in der Stadt und Region Oldenburg stark zu spüren – davor warnt die Oldenburger Menschenrechtsorganisation IBIS e.V.

Die „Beratung und Betreuung von Flüchtlingen und Auswanderern“, worunter insbesondere die Psychosozialen Zentren (PSZ) für Flüchtlinge und Folteropfer fallen, soll von 13 Mio. auf 7 Mio. Euro gekürzt und somit fast halbiert werden. Aufgrund der unzureichenden Finanzierung – die sich bereits 2024 aufgrund von umfangreichen Kürzungen zugespitzt hat – können die PSZ bereits jetzt der hohen Nachfrage nach psychosozialer und psychotherapeutischer Unterstützung nicht adäquat gerecht werden. In Oldenburg ist der Bedarf groß: Die Warteliste des PSZ von IBIS e. V. ist seit Jahren lang. Durch die Kürzungen drohen Abbrüche von Beratungs- und Hilfeleistungen, der Verlust von Fachkräften und damit eine langfristige Schädigung wirksamer Strukturen. „Wenn Traumata unbehandelt bleiben“, so mahnt die psychosoziale Beraterin Melanie Graschtat des PSZ von IBIS e. V., „können sich Folgestörungen chronifizieren und werden dauerhafte Beeinträchtigungen deutlich wahrscheinlicher“.

Die „behördenunabhängige Asylverfahrensberatung“ (AVB) soll im Jahr 2025 im Umfang von 25 Mio. Euro gefördert werden und liegt damit weit hinter den Bedarfen zurück. Die Mittel für die AVB sollten laut den ursprünglichen Plänen im Jahr 2024 auf 40 Mio. aufwachsen, um den Aufbau des bundesweiten und flächendeckenden Angebots zu sichern. Durch individuelle Beratung verstehen Asylsuchende das Asylverfahren besser und können ihre Rechte gezielter wahrnehmen. Ohne Mittelaufwuchs bleibt vielen Schutzsuchenden der Zugang zu einer qualifizierten Fachberatung verwehrt.

Zudem droht eine Unterversorgung im Bundesförderprogramm „Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte“ (MBE). Nach einem Volumen von 81,5 Millionen Euro im Jahr 2023 wurden im Jahr 2024 Fördergelder gekürzt und das Programm nur noch mit 77,5 Mio. Euro gefördert – trotz steigenden Bedarfs. Die Kostensteigerungen im Haushaltsjahr 2025 können durch ein gleichbleibendes Budget nicht abgedeckt werden. Die Wohlfahrtsverbände und IBIS e. V. fordern deshalb eine gesicherte Finanzierung im Bundeshaushalt und einen Mittelansatz, der den Beratungsbedarfen der MBE entspricht. Für das Jahr 2025 braucht es nach Ansicht der Wohlfahrtsverbände Bundesmittel in Höhe von mindestens 81,5 Mio. Euro – entsprechend dem Niveau von 2023.

Fernerhin soll das Budget für die „Integrationskurse“ halbiert werden: Während für 2024 noch 1 Mrd. Euro eingeplant waren, sollen für 2025 nur noch 500 Mio. Euro zur Verfügung stehen. Sprache ist der wichtigste Schlüssel zu einer langfristigen und nachhaltigen Teilhabe von geflüchteten Menschen an der Gesellschaft, so sieht es Uwe Erbel, Geschäftsführer von IBIS e. V. Dies gilt auch für die Teilhabe am Arbeitsmarkt, die in Zeiten eines großen Fachkräftemangels und demografischen Wandels vielen politischen Kräften ein wichtiges Anliegen ist. „Einsparungen bei den Integrationskursen bremsen und verhindern unweigerlich Teilhabeprozesse von geflüchteten Menschen“, so Erbel.

Der Bundeshaushaltsentwurf für das Jahr 2025 sieht im Vergleich zum Haushaltsjahr 2024 außerdem eine erhebliche Kürzung im Umfang von 4 Mio. Euro für Zuwendungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor – von 5,75 Mio. Euro auf 1,75 Mio. Euro. Zum jetzigen Zeitpunkt kann deshalb keine Aussage darüber getroffen werden, in welchem Umfang das Bundesförderprogramm „respekt*land – Antidiskriminierungsberatung für ganz Deutschland“ fortgeführt werden kann. Von Diskriminierung betroffene Menschen sollen durch das Programm vor allem in ländlichen Gebieten eine Anlaufstelle finden – eine Problematik, die auch für viele Geflüchtete sehr relevant ist. Eine Weiterführung des Programms ist angesichts der Einsparungspläne der Bundesregierung aktuell ungewiss.

IBIS e. V. erhält Förderungen in allen oben genannten Bundesförderprogrammen. Durch die drohenden Einsparungen sieht Peter Kramer, Projektmanager bei IBIS e. V., die Unterstützungsinfrastruktur für geflüchtete und anders zugewanderte Menschen in der Stadt und Region Oldenburg akut gefährdet: „Werden die im Bundeshaushaltsplan für 2025 beschlossenen Einsparungen auch parlamentarisch Ende des Jahres beschlossen, ist IBIS e.V in verschiedenen Bundesförderprogrammen mit Kürzungen konfrontiert. Auch andere Träger sind betroffen. Dies wird sich unmittelbar negativ auf die Versorgungslage von geflüchteten Menschen in Oldenburg und Umgebung auswirken. “

Einsparungspläne in Zeiten hoher Zuwanderungszahlen, steigender Bedarfe und migrationsfeindlicher politischer Debatten

Angesichts eines enormen Anstiegs von bewaffneten Konflikten und Zahlen von Geflüchteten weltweit sind auch die Flucht- und Zuwanderungszahlen in Deutschland nach wie vor hoch. In den letzten Jahren hat Deutschland die höchste Zahl von Neueingewanderten seit 70 Jahren erlebt, darunter etwa 2 Mio. Geflüchtete in den letzten drei Jahren. Auch zu Erwerbs- und Ausbildungszwecken oder zur Familienzusammenführung kommen viele Menschen nach Deutschland. Fachkräfte und -verbände sehen angesichts dieser migrationsgesellschaftlichen Realität einen ungebrochen hohen Bedarf an Unterstützung für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen oder beispielsweise als Fachkräfte nach Deutschland migrieren.

In der gesellschaftspolitischen Debatte sind Migration, Flucht und die Frage, wie Teilhabe gelingen kann, zentrale Themen. Aus Sicht der „Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege“ stehen dabei vor allem die staatlichen Akteure Bund, Länder und Kommunen im Fokus. Sie heben jedoch hervor: „[D]ie Migrationsfachdienste der Verbände mit ihren Haupt- und Ehrenamtlichen sind das Scharnier, damit Integration gelingen kann und der gesellschaftliche Zusammenhalt ohne Abschottung erhalten bleibt. Durch die gleichzeitig stattfindende haushaltspolitische Debatte in Bundestag und Bundesregierung um Prioritäten im Haushalt angesichts knapper Kassen ist diese wichtige Arbeit gefährdet. Wir müssen deutlich machen, dass Sparen an den Migrationsfachdiensten den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet.“

IBIS e. V. beobachtet in diesem Zusammenhang auch die derzeitige politische Debatte über Verschärfungen des Asylrechts mit großer Sorge: „Migrationsfeindliche Positionen und restriktive migrationspolitische Forderungen bestimmen derzeit den gesellschaftspolitischen Diskurs. Die migrationsfeindlichen Debatten wirken sich auch auf die Bundeshaushaltsverhandlungen aus“, so Peter Kramer von IBIS e. V. Angesichts der Diskussionen über weitere Verschärfungen im Asylrecht setzt sich IBIS e. V. deshalb als Menschenrechtsorganisation entschieden für eine Versachlichung der Debatte über Flucht und Migration und eine Rückbesinnung auf demokratische Werte und Menschenrechte ein.

Die Hoffnung stirbt zuletzt: Die Einsparungspläne der Bundesregierung können noch parlamentarisch gestoppt werden

Im Rahmen einer Aktionswoche appelliert die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) angesichts der Einsparpläne an die Politik, die massiven finanziellen Einschnitte bei den bundesgeförderten Programmen zu verhindern – denn die Pläne können noch parlamentarisch gestoppt werden. Der Bundeshaushalt für 2025 wird noch im Bundestag und Bundesrat von September bis November 2024 beraten und erst im Dezember 2024 beschlossen.

IBIS e. V. schließt sich dem Appel an und fordert: Teilhabe und demokratisches Gemeinwesen stärken – Einsparungen stoppen!

In den kommenden Tagen wird IBIS e.V. auf seinen Social Media-Kanälen Beiträge mit konkreten Forderungen an die Politik veröffentlichen.

IBIS – Interkulturelle Arbeitsstelle für Forschung, Dokumentation, Bildung und Beratung e. V. Klävemannstraße 16, 26122 Oldenburg Rückfragen gerne an: presse@ibis-ev.de oder telefonisch unter 0441 920582 10 Ansprechpersonen: Peter Kramer und Hendrik Lammers

Quellen:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. „Aufruf an die Träger vor Ort zur Aktionswoche für die bundesgeförderten Programme im Bereich Integration und Flucht: MBE, JMD, AVB, PSZ vom 16. Bis 20. September 2024”. Abgerufen am 09.09.24

Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. „Bundesregierung will psychosoziales Unterstützung für Geflüchtete um fast 50% kürzen“. Abgerufen am 10.09.24:

Der Paritätischen Gesamtverband. „Haushalt 2025 – Auswirkungen im Bereich Flucht und Migration sowie Änderungen im Migrationsrecht durch die ´Wachstumsinitative´“. Abgerufen am 09.09.24

Fact-Sheets des Paritätischen Gesamtverbands zu den geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt 2025 (unveröffentlicht)

Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung. Presseinformationen vom 17.07.24. Abgerufen am 09.09.24

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