Über 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht.
Am 16.01.2020 fand der alljährliche Neujahrsempfang der UNO-Flüchtlingshilfe bei IBIS e.V. statt. Prof. Dr. Reinhold Friedl, Leiter der UNO-Flüchtlingshilfe für Norddeutschland, hatte zu der traditionellen Veranstaltung eingeladen.
Als Ehrengäste empfingen die UNO-Flüchtlingshilfe und IBIS e.V. Doris Schröder-Köpf, die Landesbeauftragte des Landes Niedersachsen für Migration und Teilhabe, sowie Dr. Regula Venske, Trägerin des deutschen Krimipreises und Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland. Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine Schriftstellervereinigung, die sich für unterdrückte und verfolgte Schriftsteller_innen, Journalist_innen und Verleger_innen einsetzt.
Begrüßt wurden die Gäste von Uwe Erbel, dem Geschäftsführer von IBIS e.V., mit einem eindringlichen Grußwort, in dem er sich wünschte, es gäbe Positiveres aus dem vergangenen Jahr für die Menschenrechte zu berichten. Erbel beklagte u. a. die Gesetzesverschärfungen bezüglich der Abschiebehaft und die negativen Folgen des Asylbewerberleistungsgesetzes für in Deutschland Schutzsuchende.
Doris Schröder-Köpf kritisierte die drastischen finanziellen Kürzungen für die Integrationsarbeit im Jahr 2020 durch den Bund, die sich alleine im Land Niedersachsen auf 160 Millionen Euro belaufen. Sie betonte, dass trotz der hohen Kürzungen entstandene Netzwerke und Strukturen nicht zerstört werden dürfen, sondern aufrechterhalten werden müssen.
Die Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe bedankte sich für die Arbeit der UNO-Flüchtlingshilfe, IBIS e.V. und allen anderen Stellen, die sich um die Belange von Geflüchteten und Asylsuchenden kümmern. Unabhängige Beratung für Asylsuchende hält Schröder-Köpf für essentiell. Sie kritisiert dementsprechend das Vorhaben, die Asylberatung von den Mitarbeiter_innen des BAMFs durchzuführen zu lassen und bezeichnet es als „rausgeschmissenes Geld“.
Des Weiteren beschrieb Schröder-Köpf die dramatische Lage an der EU-Außengrenze am Beispiel der anhaltenden, aussichtslosen Situation auf der Insel Lesbos, auf der circa 16.000 Menschen Zuflucht gesucht haben. Die Landesbeauftragte beklagte zutiefst die Zustände im Lager Moria, in dem sich Kinder immer öfters versuchen, das Leben zu nehmen. „Wir müssen zusammen alles tun, um die Lage dort zu ändern.“ Schröder-Köpf appellierte an die Zuhörenden, dass eine Gesellschaft sich daran messen lassen muss „wie sie mit den schwächsten und angegriffensten Mietgliedern in ihrer der Gesellschaft umgeht.“
Dr. Reinhold Friedl berichtete über die aktuellen Zahlen der Geflüchteten weltweit – über 70 Millionen Menschen, von denen ein großer Anteil minderjährig ist, und, was in Deutschland manchmal übersehen wird, von denen der Großteil außerhalb von Europa lebt. Vier Millionen Geflüchtete befinden sich alleine in der Türkei. Bei Verschärfung von Unruhen sind die größte Flucht- und Migrationsbewegung der jüngsten Geschichte Südamerikas entstanden. Friedl bezeichnete das vergangene Jahrzehnt als „extrem“ mit komplexen Krisen. Er warnte davor, dass Nationalismus als Antwort gesucht wird. Die Notwendigkeit von Seenotrettung darf nicht in Frage gestellt werden, eine Kriminalisierung von Seenotrettung bedeutet ein Vergehen an „Werten, wie Humanität und Menschlichkeit“. Friedl berichtete weiterhin von der Arbeit der UNHCR, die an vielen Krisenorten den lebenswichtigen Zugang zu Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung, aber auch Bildung und Arbeit ermöglicht. So gelinge es, rund 60% der Kinder, um die sich der UNHCR kümmert, im Grundschulalter eine schulische Bildung zu ermöglichen. In Deutschland fördert die UNO Rechtsberatung und Therapien.
Eine Unterstützung von nach Deutschland geflüchteten Schriftsteller_innen und Journalist_innen hat das Writers-in-Exile-Programm vom PEN-Zentrum Deutschland aufgebaut. Mit dem ein- bis dreijährigen Stipendium, werden die Schriftsteller_innen und Journalist_innen zusätzlich zu den staatlichen Leistungen von der Organisation in ihrem Alltag, aber auch in ihrem journalistischen Schaffen unterstützt.
Die Präsidentin des PEN-Zentrums Dr. Regula Venske, erzählte – untermalt von Zitaten, Gedichten und Prosa verschiedener Autor_innen mit eigener Fluchterfahrung – von der sich vielerorts verschärfende Situation für Schriftsteller_innen. Die Unterdrückung von Journalist_innen rückt immer näher, es sind u. a. Fälle aus der Ukraine und Mazedonien bekannt. Personen, denen die Flucht gelingt, brauchen, laut Venske, eine umfassende Betreuung, um einen Umgang mit den physischen und psychischen Folgen von Haft, Flucht und oft Folter finden zu können. Aktuell ermöglicht das Programm neun Schriftsteller_innen, die etwa Verfolgung, Inhaftierung oder Folter erleben mussten, in Deutschland ein sichereres Leben und literarisches Arbeiten im Exil.
Die Bedeutung von Zusammenhalt und Solidarität betonten abschließend der „Chor der Vielfalt“ u.a. mit „Tiende pa mosi“ – einem Demonstrationslied aus Südostafrika – und leiteten damit zum freien Austausch zwischen den Gästen ein. Bei der traditionellen Linsensuppe im IBIS Café wurde u. a. über eigene Erfahrungen im Bereich Flucht und Migration sowie notwendige politische Veränderungen für das Jahr 2020 diskutiert.