Stellungnahme: Verfassungsrechtlicher Bruch durch die Leistungskürzungen für Asylsuchende

IBIS e.V. kritisiert den von der Bundesregierung bewusst in Kauf genommenen permanenten verfassungsrechtlichen Bruch durch die Leistungskürzungen für Asylsuchende nach § 1a AsylbLG!

Dass mittlerweile vielen Asylsuchenden das Bargeld gestrichen wird, halten wir für verfassungswidrig. Hier ein Kommentar zur Rechtslage:

Das Bundesverfassungsgericht hatte das Offensichtliche in der Entscheidung vom 18.07.2012 – Az. 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 bereits verdeutlicht: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. Mit Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –  bestätigte es außerdem, dass das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum uneingeschränkt und zu jeder Zeit sicherzustellen ist. Es machte dabei wiederholt deutlich, dass das menschenwürdige Existenzminimum einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz sichern muss, was den soziokulturellen Bedarf – der nach §1a AsylbLG gekürzt wird – explizit einschließt.

Weiterhin hat die große Kammer des Europäischen Gerichtshofs EuGH in der Rechtssache Haqbin (C-233/18) am 12.11.2019 für das Flüchtlingssozialrecht bestätigt, dass die Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebensstandards unantastbar sind. Zuletzt hatte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen grundlegende verfassungsrechtliche Zweifel an allen Kürzungstatbeständen des §1a AsylbLG im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 05.11.2019 – 1 BvL 7 /16 –festgehalten.

Wenn Asylsuchende Leistungskürzungen bekommen und kein Bargeld mehr erhalten, können sie allerdings Widerspruch beim zuständigen Sozialamt und parallel Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht einlegen. Wie das funktioniert, erklärt zum Beispiel eine Beratungsstelle für Geflüchtete oder eine anwaltliche Vertretung. Es gibt bereits erste positive Beschlüsse im Eilrechtsschutzverfahren durch das Sozialgericht Oldenburg, wie u. a. in den Rechtssachen S 25 AY 3/20 ER (Beschluss vom 20. Februar 2020) sowie S 25 AY 7/20 ER (Beschluss vom 18. Februar 2020).

Auch gegen bereits verfristete Bescheide, die eine Leistungskürzung enthalten, kann etwas getan werden. Hier können Anträge auf Rücknahme bzw. Überprüfung der Bescheide nach § 44 SGB X beim zuständigen Sozialamt gestellt werden.

Es ist absurd, dass die Bundesregierung die auf der Hand liegende Beurteilung wissentlich ignorierte und in Kauf nahm und weiterhin nimmt, dass Menschen unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums leben müssen. Die Leistungen für soziokulturelle Teilhabe zu streichen, bedeutet, Menschen ihrer Lebensgrundlage zu entziehen und sie massiv abzuwerten. Für die Betroffenen stellen diese Regelungen eine starke Herabwürdigung dar und grenzen sie aus der Gesellschaft aus. Auch die Argumentation des Gesetzgebers, es würden Kosten eingespart und Anreize für die Migration unterbunden, halten wir für irreführend und falsch. Asylsuchende verlassen ihre Herkunftsländer oder das erste Aufnahmeland der Dublin-III-Vereinbarung, wenn sie zu dieser Entscheidung aufgrund von Gewalt, Krieg, Ausbeutung und Verfolgung oder schlechten Lebensbedingungen gezwungen werden – und nicht, weil sie an die Höhe von Leistungssätzen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz denken. Die Reaktion des Gesetzgebers ist ein völlig inhumaner Umgang mit der derzeitigen Flüchtlingsschutzkrise und eine sozialpolitische Bankrotterklärung.

Wir fordern daher, dass die Bundesregierung ihrer sozialpolitischen Verantwortung gerecht wird. Wir fordern die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und ihrer erniedrigenden institutionellen Diskriminierung.

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